For another day oder einem Bild von Welt

Farbe – das ist der erste Eindruck, der sich beim Betreten des Künstlerateliers von Werner Windisch einstellt. Farbe bestimmt den Raum und bildet das Motiv seiner künstlerischen Arbeit – ganz gleich ob auf einen Träger aufgebracht oder gar ohne jeglichen Grund, ganz für sich allein. Die Farbe leuchtet, brilliert, sie spiegelt und reflektiert, lädt dazu ein, sich in ihr zu versenken und sich im wahrsten Sinne selbst zu entdecken. 

Unterschiedliche Werkgruppen lassen sich in diesem Oeuvre voneinander unterscheiden. Leinwandarbeiten sind zwischen 2018 und 2020 entstanden. Diesen klassischen Malgrund wählt Windisch entweder im Maß 24 x 30 oder 30 x 40 cm, um darauf das selbst hergestellte Farbmaterial aufzutragen. Die verwendete Acrylfarbe stammt jedoch nicht aus der Tube, sondern stellt eine aus langem Experimentieren resultierende Rezeptur aus einem bestimmten farblosen Acrylat und Aquarellfarbpigmenten dar. Der Farbauftrag auf die liegende Leinwand erfolgt dementsprechend auch nicht mehr mit dem Pinsel, dem traditionellen Werkzeug, sondern mittels eines Malersiebs, eine Art Papiertrichter. Zug um Zug und unter Aufwendung hoher Konzentration ergießt sich die Farbe gleichmäßig und im Ergebnis gänzlich homogen auf die weiß grundierte Bildfläche. Diesen Malvorgang visualisiert, erinnert er beinahe an die Mechanik eines 3D-Druckers, der ebenso automatisiert einen Körper abtastet und neu aufbaut. Analog dazu entsteht auch bei Werner Windisch nicht ein zweidimensionales Bild, sondern vielmehr ein dreidimensionales Bildobjekt: Denn an den Rändern der Bildfläche ist das Bild nicht abgeschlossen – vielmehr nimmt es dort seine Wendung. Die Farbe rinnt in dünnen aber nicht minder bedeutsamen Farbnasen, vertikal an den 3 cm breiten Rändern des Keilrahmens hinunter. Spätestens hier offenbart sich die Bandbreite an Bunttönen, die der Künstler übereinanderschichtet, um zum gewünschten finalen Farbeindruck zu gelangen.

Papierarbeiten bilden eine weitere Werkgruppe. Auch hier arbeitet der Künstler das ausgangs flach plane Büttenpapier von der Fläche in den Raum hinein. Es wird zunächst in destilliertem Wasser angefeuchtet, mit Glyzerin und Gummiarabikum weiter behandelt, schließlich mit Aquarellpigmenten koloriert und getrocknet. Wie ein von der Wand herabhängendes Poster etwa sind die Papierarbeiten an der Wand fixiert und dann nach oben und vorne umgeschlagen sichtbar. Genauso wahrnehmbar wie dieser Umschlag dem Betrachter entgegen, ist aber auch die Anschauung von reinem Pigment. Nicht etwa eine Rückseite wird sichtbar, sondern durchdringende Farbe im Raum.

Allen Arbeiten von Werner Windisch ist diese (vermeintliche) Monochromie, Einfarbigkeit, die Fokussierung auf Farbe in ihrer Materialität gemein. Nicht vielfarbig sind seine Bilder, sondern von einem einzigen, definierten, monochromen Farbeindruck bestimmt. Auch das Changieren zwischen Malerei und Objekt sowie die Frage nach dem Bild generell stellt eine Gemeinsamkeit seiner Werke dar: Was definieren wir eigentlich als (Kunst)Bild? In diesem Zuge stellt sich zunächst die Frage, wie der Künstler Werner Windisch zu seinen Bildern, zu seiner Arbeitsweise kam oder kommt. Denn während seiner Jugend bereits unternahm Windisch erste Malversuche, teilweise noch der Gegenständlichkeit verhaftet, aber bereits beflügelt von Ausstellungsbesuchen und dem Entdecken seiner Leidenschaft für Kunst. Schon früh interessierte er sich zunehmend für die Abstraktion in der Malerei. Kasimir Malewitschs Schlüsselwerk, das „Schwarzes Quadrat“, beeindruckte ihn nachhaltig. Vielleicht war es diese eine Arbeit, die doch das Ende der Malerei postulierte, die ihn immer wieder aufs Neue zu einer kritischen Befragung der Gattung führte. Auch die Werke der Maler der Russischen Avantgarde, Tatlin, El Lisitzki und Alexander Rodschenko sind ihm wohlbekannt. Und schließlich beschreibt Windisch Werke von Willem de Kooning, die er in einer Ausstellung in Basel gesehen hat, sowie die Konsequenz, mit der De Kooning seinen künstlerischen Ansatz vertrat, als möglichen Katalysator für die Beschäftigung mit dem Thema der Farbe innerhalb seines eigenen Werks – und letztlich mit der monochromen Malerei.

Der Versuch diese künstlerische Befragung des monochromen Bildes, den Kern des Werkes, noch expliziter zu fassen, führt uns zu einer nächsten Gruppe von Werken. Seit 2007 entstehen die sogenannten Gipsarbeiten. Den Träger der Farbe bildet hier das Material Gips. Es wird zunächst in rechteckige, mit robuster Folie ausgekleidete Holzrahmen gegossen. Die an den Rändern unregelmäßig amorphe, lamellenartig sich ausbreitende Form des späteren Gipskörpers und Farbträgers, entsteht durch den bildnerischen Umgang mit den formgebenden Bestandteilen, Rahmen und Folie, und ist dann bis zu einem gewissen Grad dem Zufall überlassen. Somit dient die ursprüngliche Rechteckform in ihrer geometrischen Perfektion zwar noch als Referenz zum klassischen Tafelbild, weicht aber zugunsten einer mehr oder weniger autonomen Formfindung durch das Material zurück.
 Nachdem der Gips ausgetrocknet ist, wird er gespachtelt, geschliffen und grundiert, um wiederum der Farbe einen Grund zu bieten. Wohingegen die Leinwand – ganz das Naturprodukt – als Bildträger viele natürliche Materialcharakteristika in sich birgt, die, weil sichtbar, berücksichtigt oder getilgt werden müssen – seien es Einschlüsse, Knoten, Verdichtungen, Erhebungen, Unebenheiten in den Fäden oder der Webstruktur – läuft das Material Gips dem gänzlich zuwider. Herkömmlicherweise im Kunstkontext in der Gattung Skulptur eingesetzt, um Gipsabgüsse etwa von Körpern, Gipsfiguren anzufertigen, oder im Alltagsgebrauch in der Zahntechnik oder Kieferchirurgie verwendet, handelt es sich dabei um ein chemisches Produkt, das in definierten Härtegraden austrocknet und sich bei identischer Verwendung standardisiert verfestigt. Das Material birgt eine gewisse Dichte und ist gleichzeitig in seiner materiellen Struktur völlig homogen. Dennoch ist seine Verarbeitung simpel, nicht umsonst kennen viele das Material selbst noch aus Kindertagen und dem Gipsfigurengießen. Wiederum wird die Farbe über einen Malersieb auf die Fläche aufgebracht. Die Malerhand berührt die Oberfläche des Gipses nicht, sodass sich das Farbmaterial ohne jede individuelle Geste des Künstlers entfalten kann. So entsteht eine störfreie, innige Verbindung zwischen Träger und Farbe, die die Malerei geradezu objektiviert – nicht nur weil das Bild zum Bildobjekt wird, sondern auch weil die subjektive Malgeste einem standardisierten und automatisierten Verfahren gewichen ist. Die Farbe überschreitet auch hier die Zweidimensionalität und verleibt sich die mal mehr, mal weniger breiten Ränder der Gipskörper ein. Offensichtlich tritt bei diesen Arbeiten das sich gegenseitige Bedingen der Makellosigkeit der Träger- und Farbfläche als auch des autonomen Farbauftrags zu Tage. 

Betrachtet man schließlich, wie eingangs behauptet, das Motiv der Werke von Werner Windisch, die Farbe an sich genauer, wird zweierlei deutlich: Einerseits erkennen wir eine Tiefenräumlichkeit von Farbe. Nicht nur eine zweidimensionale Oberfläche, sondern durch die Wahl des Farbmaterials und durch dessen Aufschichtung wird es uns ermöglicht, tief in einen Farbraum hineinzuschauen. Innerhalb dessen nehmen wir Farbe in einer neuen Dimension wahr, zwar vermeintlich einfarbig, aber doch bisweilen changierend glänzend, stellenweise verdichtet, wenn sich Farbmaterial in kaum wahrnehmbaren Senken sammelt, und dadurch dunkler, intensiver, an anderer Stelle lichter, flüchtiger. Zu dieser ganzen Palette an, auch assoziativen, Farbeindrücken, paart sich das Wahrnehmen von Farbe in seiner eigenen Materialität, als dingliche Präsenz im Raum – nicht nur als Mittel zum Zweck, um etwas zu kolorieren, sondern um als sich selbst in Erscheinung zu treten. Andererseits nehmen wir bei der Betrachtung uns selbst als Sehende wahr. Denn die lackartig anmutenden Oberflächen der Arbeiten haben eine weitere Folge: Sie spiegeln ihre Umgebung – und so auch den Betrachter oder die Betrachterin, die sich sehend vor ihnen befindet. Nicht so explizit wie vor einem Spiegel, aber doch deutlich begegnen wir uns selbst und unserer Umgebung im Bild. So wird der Bezugsrahmen dieser Malereiobjekte auf den Kontext des Wahrnehmungsraumes erweitert. Windisch setzt so das Objektive, das Objekt, ganz direkt und explizit in Beziehung zum Subjekt. 

Dies bedacht, führt „For another day“ – so der Titel einiger Papierarbeiten – zur Gretchenfrage des Werks von Werner Windisch. Das fortwährende Experimentieren mit neuen, auch unkonventionellen Träger- und Farbmaterialien, die tagtägliche Recherche nach Informationen und dem Kontext, gehört als fester Bestandteil zu seiner Arbeitsweise. Nicht umsonst fühlt man sich im Künstleratelier bisweilen an ein Chemielabor erinnert. Dieses Prinzip, das in sich bereits eine Offenheit und Unabgeschlossenheit der Form und Dimension seiner Werke birgt, ermöglicht unterdessen das Lernen über und das Auseinandersetzen mit der Welt, in der diese Werke entstehen – das Verstehen von Zusammenhängen und Prozessen in dieser Welt. Das Sprichwort „Sich ein Bild von etwas machen“ wird hier doppeldeutig. Denn so sehr dinghaft seine Bilder auch in Erscheinung treten, geht es Windisch auch um ein Ausloten der Wechselverhältnisse zwischen dem Objekt und dem Subjekt – in einem abstrakten selbstreferenziellen Bild von Welt. Oder: Spieglein, Spieglein an der Wand, sag mir – wer bin ich.

Eveline Weber M.A., Freiburg

 
Werner Windisch
I'll Never Write My Memoirs, II
25. März bis 29. April 2018 / Galerie im Tor, Emmendingen
 
Die Erfahrung lehrt: Irgendwann ist bei allen Dingen mal die Luft raus, jede Möglichkeit ausgeschöpft, jede Grenze erreicht. Schluss, fertig, Feierabend. Warum es danach trotzdem immer weiter geht? Ganz einfach: Weil das Ende nichts als eine fadenscheinige Fiktion ist. Schön nachzuvollziehen ist das anhand der Geschichte der Malerei. Seit Kasimir Malewitsch 1915 erstmals sein „Schwarzes Quadrat” vorstellte, ist die Malerei unzählige Tode gestorben, seltener – wie bei Ad Reinhardt – mit konzeptuellem Kalkül, öfter in den Urteilen Dritter, die befanden, dass es jetzt mal gut sei mit dem Malen und man sich Langweiligeres und Unzeitgemäßeres kaum vorstellen könne. Und doch war die Proklamation des Endes der Malerei nie etwas anderes als das Vorecho ihrer weiteren Ausdifferenzierung.
 
Einer, der diese Windungen der Malereigeschichte kennt, ist Werner Windisch. Seit langem arbeitet der Autodidakt mit Farbe, experimentiert mit unterschiedlichen Trägern, Pigmenten und Acrylaten, erkundet, welche Folgen die Verwendung von bestimmten Werkzeugen auf den künstlerischen Prozess hat, auf die Zeit, seinen eigenen Körper, das Material, das er zum Einsatz bringt. Mit seiner aktuellen Ausstellung gibt Windisch nun einen konzentrierten Überblick über sein Schaffen der vergangenen fünf Jahre. Doch so reduziert und minimalistisch sich diese Arbeiten im ersten Moment präsentieren mögen, wir sollten uns nicht auf diesen Anschein verlassen. Im Gegenteil: Schon der Titel der Ausstellung sollte uns stutzig machen: „I'll Never Write My Memoirs, II”.
 
„I'll Never Write My Memoirs” hieß das Buch, das im Spätherbst vor gut zwei Jahren stapelweise bei Barnes & Nobles in New York auf den Tischen lag, vor denen sich die Paparazzi drängelten und Dutzende von Fans, die riefen „We love you, honey!” Hinter dem Tisch saß mit selbstbewusstem Lächeln und futuristischer Sonnenbrille: Grace Jones. Die schwarze Sängerin mit der kantigen Frisur und den avantgardistischen Signature-Outfits gehörte zu den Stilikonen der frühen Achtziger. Sie modelte für Star-Designer wie Issey Miyake, machte im Umfeld des legendären Nachtclubs Studio 54 Karriere als Disco-Queen, gab „Im Angesicht des Todes” die Widersacherin von James Bond und nahm mit ihrem androgynen Postpunk-Look die Geschlechterdiversität von heute vorweg.
 
Mittlerweile ist Grace Jones 69 – bei Barnes & Nobles stellte sie ihre Memoiren vor, prall gefüllt mit Anekdoten einer wahren Königin der Pop-Kultur, einer Expertin der Oberfläche, einer Hohepriesterin der Extravaganz. „I'll Never Write My Memoirs” – „Ich werde nie meine Memoiren schreiben”, dieser seltsam unpassende Titel für eine Autobiografie, stammte aus ihrem Hit „Art Groupie” von 1981.
 
Extravaganz zelebrieren, darauf versteht sich auch Werner Windisch. Er tut das in einem Metier, das alles andere als dafür prädestiniert scheint. Weniger noch: Kunsthistorisch markiert die Nische, in der er seinen Ateliertisch aufgestellt hat, gewissermaßen das genaue Gegenteil Grace Jones'scher Extravaganz. Zumindest, wenn man dem Klischee glauben möchte. Demzufolge wird monochrome Malerei gerne als Resultat eines Aktes des Rückzugs beschrieben, als malerische Abkehr vom Weltlichen hin zur Farbe und ihren materiellen und wahrnehmungspsychologischen Reizen. Es gehe um die Suche nach Essenz, sagen die Interpreten, um Spiritualität, um die Erkundung der Farbe als Bildträger, mehr noch: ihrer eigenen Bildhaftigkeit.
 
Das stimmt. Monochrome Malerei stellt seit jeher vor allem die Frage nach dem Bild. Was ist ein Bild? Worüber genau reden wir wenn wir über Bilder reden? Und wo liegen die Grenzen des Bildes, wo ist sein Außen? Yves Klein signierte 1946 mit gerade mal 18 Jahren den Himmel und erklärte ihn zu seinem ersten und größten monochromen Bild. Damit war der Begriff der Monochromie in der Welt. Als entschiedene Geste gegen das klassische Tafelbild hatte Malewitsch sie bereits 30 Jahre zuvor positioniert. Sein „Schwarzes Quadrat”, Ende und Anfang aller Malerei, begründete in seiner grundsätzlichen und gleichzeitigen Offenheit und Abgeschlossenheit den Ruf der Radikalität der monochromen Malerei. Die US-amerikanische Künstlerin Marcia Hafif wiederum präzisierte diese Haltung in ihrer Idee des Radical Painting, einer Malerei also, die zu ihren Wurzeln zurückkehrt, zur radix, und als solche nichts als ihre eigenen Mittel thematisieren solle: Farbe, Leinwand, Pinsel, Auftrag und so weiter.

Auch Werner Windischs Bilder sind radikal, denn sie erzählen von einer Haltung, die denkbar Gegensätzliches vereint. Als Maler tritt Windisch gewissermaßen in doppelter Funktion auf, hat zwei Gesichter. Zum einen gibt er sich gerne als lakonischer Anstreicher, der betont mechanisch arbeitet und sein Produkt auf diese Weise von jeglichem „human touch” befreien möchte. Zum anderen aber bildet sich für ihn genau in diesem Akt des rhythmisierten Malens, der unablässigen Wiederholung, der kontrollierten Bewegung des Armes das je Spezifische, Originäre eines jeden Bildes heraus. Bis vor kurzem malte Windisch ausschließlich mit dem Pinsel – Bahn um Bahn, Schicht um Schicht und unter hoher körperlicher Anspannung, da jedes Luftbläschen, das zu schnell geführte Borsten in die Farbe schäumen, und jedes Haar, das vom Kopf auf die feuchte Leinwand fällt, Nachbesserungen erzwingen, die den Flow zerstören, in dem das Bild auf den je unvorhersehbaren Moment seiner Sättigung hintreibt – und als Spur einer menschlichen Handlung sichtbar bleiben. Virtuos wäre in diesem Sinn eine Malerei, mit der sich der Künstler so tief ins Bild hinein arbeitet, dass er darin verschwindet.

Um sich weiter zurückzunehmen und jede Spur menschlichen Handelns zu vermeiden, greift Windisch deshalb in letzter Zeit gerne zum Sieb statt zum Pinsel. Der Kontakt zwischen Hand und Leinwand reduziert sich dadurch auf die zwischen beiden Polen fließende Farbe. Es gibt keinen Ausdruck mehr und auch kein Wegmalen von Ausdruck, sondern allein die Gravitation als formbildende Kraft. Und den magischen Moment, in dem alles gut ist – das Leuchten der Farbe, die Dichte des Materials, die eingefangene Zeit, die angestaute Energie. Es ist der Moment, in dem das Bild anfängt zu leben, könnte man sagen.

Das Malen mit dem Sieb hat einen weiteren, sowohl für den künstlerischen Prozess als auch für die Haltung wesentlichen Aspekt: Das Sieb ermöglicht es Windisch buchstäblich, die Dinge einfach mal laufen zu lassen. Sich locker zu machen. Nicht alles unter Kontrolle zu haben. Plötzlich malt der Zufall mit, das Unvorhersehbare, das Eigenwillige des Materials – und Windisch lässt es geschehen.

In den vergangenen Monaten stand er oft so an seinem Maltisch. Auf der mit Farbresten übersäten Tischplatte in Ellbogenhöhe hat er in regelmäßigen Abständen Metallwinkel angeschraubt, auf denen er seine Leinwände liegend platziert. So können sie beim Malen nicht verrutschen. Es gibt zwei Größen: 24 x 30 und 30 x 40 Zentimeter. Auf drei Zentimeter breite Keilrahmen aufgezogen, die Front weiß grundiert und geschliffen, die Seiten mal mit Malerkrepp abgeklebt, mal roh und offen, trägt Windisch dann die Farbe mit dem Sieb auf.

Er verwendet dafür keine handelsübliche Acrylfarbe aus dem Künstlerbedarf, sondern mischt farblose Acrylate mit Aquarellfarbpigmenten. Das hat er vor ein paar Monaten zum ersten Mal probiert und war begeistert. Anders als bei herkömmlicher Acrylfarbe, in der die Pigmentkörnchen gewissermaßen in Acryl eingepackt werden, sind sie bei Aquarellfarben frei schwimmend in gummi arabicum eingelagert. Mit Acryl gebunden entwickeln diese eine deutlich stärkere Leuchtkraft, die Windisch auf seinen jüngsten Leinwandbildern schichtweise in ihrer Tonalität und Räumlichkeit dorthin treibt, wo er sie haben möchte. Das glamouröse Strahlen, das selbst die dunklen Bilder noch wie von innen heraus leuchten lässt, kommt nicht von ungefähr. Es hat seinen Ursprung in der physikalischen Struktur der Dispersion. Die losen Aquarellpigmente sorgen für eine andere Lichtbrechung als die gebundenen Pigmente industriell hergestellter Acrylfarben. Die monochromen Flächen scheinen sich so bei längerem Hinsehen in flirrende Räume aufzuwölben. Verstärkt wird diese Illusion der Dreidimensionalität durch die Betonung des Objekthaften. Immer wieder lässt Windisch die Farbe über die Ränder fließen, so dass sich in der Seitenansicht Bild für Bild eine je eigene Chronologie der zum Farbraum geschichteten Lasuren auffächert. Die erstarrten Tropfspuren markieren dabei die fließende Grenze zwischen Bild und Objekt, entlang der sich Windischs Malerei seit langem bewegt.

Schön zu sehen ist das auch bei den Papierarbeiten im Turmzimmer. Auch hier gibt ein Blick auf die Seiten Aufschluss über die Abfolge der einzelnen Farbschichten, die nun jedoch nur als hauchdünne Membranen über dem aus Dutzenden von übereinander klebenden Papierbögen geformten Bildträger liegen. Windisch sind diese Papiervolumen vor ein paar Jahren zufällig in die Hände gefallen. Ein Plakatierer hatte sie gerade von den wilden Werbeflächen gekratzt, die rund um die alte Freiburger Universitätsbibliothek über die Wände wucherten, bevor diese abgerissen wurde. Der Künstler trug sie in sein Studio und begann mit der Aufbereitung. Er wusch sie ab, übermalte die Motive, grundierte die ramponierten Oberflächen – und irgendwann setzte er den Pinsel an und malte, lasierend, Schicht um Schicht, die Acrylfarbe mit Glimmerpigmenten versetzt. Am Ende entstanden schrundige Bildobjekte, deren spektakulär schillernden Farbhäute keine eindeutige Aussage mehr über ihre Materialbeschaffenheit zuließen. Woraus bestanden diese Bilder: Blei? Leder? Getrocknetem Giftschlamm aus der Chemiefabrik? Und überhaupt: Waren das noch Bilder? Oder doch eher in Farbe eingeschlossene Zeitkapseln, Geschichtsspeicher?

Die gleiche Sorgfalt, mit der Windisch die aus dem Müll geretteten Papierplatten hier für ihr zweites Leben als recycelte Träger monochromer Malerei vorbereitete, verwendete er auch auf den Malgrund seiner Gipsbilder, von denen eine Auswahl im Raum nebenan zu sehen ist. Für die älteren, quadratischen Formate goss er Zahnarztgips in mit Folie ausgelegte Zigarrenkisten, ließ das Material trocknen, schliff die Oberfläche mehrfach ab und trug am Ende die Farbe in mehreren Schichten auf. Die amorphen Frontflächen dieser Malereiobjekte – entstanden durch Druck auf Gips in bestimmter Konsistenz auf klar begrenztem Raum – sind zugleich das Ergebnis eines bildhauerischen Prozesses.

Wie auch die Leinwand- und Papierarbeiten von Werner Windisch, sind sie nie nur Bild oder nur Objekt allein, nie reine Einkehr oder ganz Oberfläche, sondern immer weder-noch und sowohl-als-auch. Seine Bilder haben einen Glamour, der sich aus geradezu meditativer Konzentration speist, und ihr monochromer Look behauptet eine Weltabgewandtheit, die sie mit pop-kompatiblem Hochglanzfinish konterkarieren. Man könnte das die fluide Identität der Kunst von Werner Windisch nennen. Eine contradictio in re – irritierend, inspirierend und extravagant wie dieser seltsame Titel der Autobiografie von Grace Jones. 
 
Dietrich Roeschmann